Petershagen-Döhren. Eigentlich sollte das Treffen, zu dem Bernd Wingender Ortsheimatpfleger von Döhren, GeFBdML-Gründungsmitglied Willi Köster, Diplom-Geologe und Journalist Dr. Dietmar Meier, der Journalist Vasco Stemmer und ich unter Einhaltung der COVID-Auflagen zusammengekommen waren, dazu dienen, die Fläche, auf der sich in Döhren Ende des Jahres 2020 insgesamt eine Handvoll Brandgräber und ein Urnengrab fanden, mittels Metallsonden zu prospektieren und vom Petershäger Geologen Dr. Meier eine fundierte Einschätzung über die geologischen Beschaffenheiten vor Ort zu bekommen.
Während dieser Begehung der Fläche in Döhren, stieß Bernd Wingender, der seit Ende 2019 auch Mitglied der GeFBdML ist und schon an zwei Schulungen zum Thema Feuerstein-Artefakte teilgenommen hat, auf einen etwa faustgroßen, bearbeiteten Feuerstein. Der Döhrener Ortsheimatpfleger erkannte sofort, dass es sich um ein bearbeitetes Artefakt und nicht etwa um einen gewöhnlichen Feuerstein, den wir als Geofakt bezeichnen, handelt. Doch was er da gefunden hatte, war Wingender im ersten Augenblick nicht ganz klar, was wenig verwundert, wenn man bedenkt wie rar und alt sein Fund ist.
Eine erste Ansprache des Artefakts erfolgte bereits auf dem Acker: „Sehen Sie her, was Herr Wingender gefunden hat, das schaut schwer nach einem Faustkeil aus.“, höre ich mich noch selbst sagen. Dass der Fund menschlich bearbeitet ist und es sich nicht um ein verrolltes Gestein handelt, sieht auch der Laie. Doch um was es sich genau handelt, ist auch nach der zweiten Begutachtung gar nicht so einfach festzustellen. Verglichen mit anderen Funden, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen kleinen Faustkeil aus der mittleren Altsteinzeit.
Der Archäologe und GeFBdML-Unterstützer Thomas van Lohuizen (M.Sc.) kommentiert den Fund so:
„Bei dem Oberflächenfund handelt es sich um ein beidseitig bearbeitetes Stück Feuerstein mit einer deutlich ausgeprägten Patinierung der Oberfläche. Das Gesteinsstück durchziehen Sprünge, die auf Frosteinwirkung hindeuten können, an denen sich auch eine Orientierung der Patinierung zeigt. Auch diese Sprünge dürften auf ein hohes Alter hinweisen. Form, Format und Bearbeitungsspuren deuten auf eine mögliche Datierung in die mittlere Altsteinzeit. Dabei handelt es sich dem Eindruck via Fotografien nach um einen „kleinen Faustkeil“ ein Typus der auch als „Fäustel“ in der älteren Literatur erscheint. Es liegen Spuren einer neuzeitlichen Beschädigung vor, die auf eine neuzeitliche Verlagerung des Stücks zurückgehen wird.
Aus Westfalen liegen zahlreiche gut dokumentierte, allerdings meist großformatigere Faustkeile und weitere mittelaltsteinzeitliche Werkstücke vor. In dieser Reihe kann sich der Neufund gut einfügen.
Eine nähere Untersuchung des Originalfundbelegs wird eine sichere abschließende Bestimmung und nähere Einschätzung ermöglichen.“
Für die erwähnten näheren Untersuchungen befindet sich der Fund aktuell in der Außenstelle Bielefeld der LWL-AfW. Eine Einschätzung der Sachbearbeiter*innen dort steht noch aus.
Ob nun Faustkeil, Faustkeil-Rohling oder Kernstein. Die ausgeprägte Patinierung der Oberfläche, die Sprünge aufgrund von Frosteinwirkung, die Form und die Bearbeitungsspuren – alles deutet auf eine Datierung in die mittlere Altsteinzeit hin, die wir fachsprachlich als Mittelpaläolithikum bezeichnen.
Das Mittelpaläolithikum ist der mittlere Abschnitt der Altsteinzeit in Europa, der vor ca. 300.000–200.000 Jahren beginnt und vor etwa 40.000 Jahren dem Beginn des Jungpaläolithikums (Aurignacien) endet. Der Fund ist somit vielleicht 200.000 mindestens aber 115.000 Jahre alt und ist demzufolge in die Reihe der ältesten menschlichen Funde im Landkreis einzureihen.
Mit dem Begriff Mittelpaläolithikum assoziiert -nicht nur- der Laie sofort die Bezeichnung Neandertaler oder den Begriff Höhlenmensch, denn die ältesten bisher bekannten Funde der sogenannten klassischen Neandertaler sind ungefähr 130.000 Jahre, der namensgebende Fund aus dem Neandertal sogar nur 42.000 Jahre, alt.
Trotz einer vorherrschenden Eiszeit (Weichsel-Kaltzeit) nimmt die Verbreitung des klassischen Neandertalers vor ca. 80.000 bis 40.000 Jahren zu. Zum Schutz vor den klimatischen Bedingungen, die während dieser Eiszeit herrschten, benutzten die Menschen Höhlen oder Felsschutzdächer als Unterschlupf. Meistens wurden hierbei Eingangspartien oder Höhlenvorplätze bewohnt, da der eigentliche Innenraum der Höhlen wegen der Feuchtigkeit unbewohnbar war, dort finden sich ergo nur selten Reste von Behausungen. Einer der wichtigsten Fundplätze in Deutschland liegt sogar in Westfalen, es ist die Balver Höhle. Der Fundplatz ist so bedeutend, weil er vor 100.000 bis 40.000 Jahren kontinuierlich von Neandertalern aufgesucht wurde und dementsprechend fundreich ist.
Das Bild einer in Höhlen lebenden Familie Feuerstein oder Familie Geröllheimer ist dennoch zu kurz gedacht. Auch wenn der österreichische Landschaftsmaler Hugo Darnaut in seinem Gemälde von 1885 genau dieses Bild als „Idealbild aus der Steinzeit“ verklärt. Sicher ist dagegen, dass die Menschen seinerzeit in Hütten aus Ästen oder Mammutknochen, überzogen mit Fellen oder Moosen, lebten und aufgrund dieser einfachen Bauweise eine gewisse Mobilität aufwiesen. Belege solcher Hütten fand man beispielsweise in Südfrankreich in der Nähe von Nizza. Erhalten ist von diesen Zelten/Hütten aufgrund der Witterungseinflüsse und der Vergänglichkeit organischer Baumaterialien nur wenig, bestenfalls Kreise aus Steinen, die wohl als Stütze für die aufgestellten Äste dienten. Ganz im Gegensatz zu Funden aus Höhlen, in denen die Funde oder Befunde witterungsgeschützt ruhen. Diese Tatsache nährte die Fehlvorstellung von den „Höhlenmenschen“ lange Zeit, bis neuere Forschungen dies widerlegten.
Von der Sesshaftigkeit mit Ackerbau und Viehhaltung in Dorfgemeinschaften, sind die Menschen noch lange entfernt. Beispielsweise die Menschen des Spätpaläolithikum, die als Rentierjäger in der ausgehenden Altsteinzeit vor ca. 12.000 Jahren ihre Sommerlager bestehend aus Rundzelten in einer damals mit Baumgruppen durchsetztem endeiszeitlichen Tundra aufschlugen, um möglichst mobil zu bleiben und den Rentierhorden nachsetzen zu können. Belege dieser Jäger und Sammler finden sich auf dem Gebiet der Stadt Petershagen vor allem auf dem Lusebrink in Neuenknick.
Erst die Menschen in der Jungsteinzeit (Neolithikum) vor ca. 7.500 in Mitteleuropa sind es, die eine bäuerliche Kultur mit Ackerbau und Viehhaltung in Dorfgemeinschaften in festen Siedlungen etablieren. Diese schleichende Veränderung nennt man fachsprachlich Neolithische Revolution oder Neolithisierung. In unsere Region ist die Linearbandkeramische Kultur (LBK) die älteste bäuerliche Kultur der europäischen Jungsteinzeit mit festen Siedlungen.
Zurück zu dem Fund: Faustkeile waren aufgrund ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten ein sehr beliebtes Werkzeug, so könnte man mit ihnen schneiden, hacken, hämmern, schaben, kratzen, bohren und so weiter… Halt ein echtes Allzweckwerkzeug. Sozusagen das Schweizer Taschenmesser des Steinzeitalters. Dementsprechend wird der Verlust für unseren Steinzeitler sehr ärgerlich gewesen sein.
Ob das beidseitig bearbeitete Steingerät einem Neandertaler als Universalwerkzeug gedient hat und vor mehr als 115.000 Jahren verloren ging oder aufgrund einer Beschädigung verworfen wurde, wird wohl nie geklärt werden können. Dennoch handelt es sich um ein interessantes Belegstück unserer regionalen Urgeschichte.